Vohburg nach oben

Vom 20. Juli bis 4. Oktober 2019 durfte ich einen Teil meiner Serie „nach oben“ im Vohburger Rathaus ausstellen. Als lokale Motive habe ich die moderne Bibliothek der Architektin Vera Winzinger und den Andreassaal des Rathauses abgelichtet. Die Einführung zur Ausstellung sprach Kunst- und Architekturvermittlerin Claudia Borgmann. Die Fotos bei der Vernissage hat Christin Estel gemacht.

Laudatio von Claudia Borgmann

Liebe Gäste, lieber Johannes,

ich freue mich sehr, dass Johannes mich gebeten hat, die einführenden Worte zur Kunstausstellung „nach oben“ hier im Vohburger Rathaus halten zu dürfen. Johannes, es ist mir eine Ehre und ich gratuliere Dir herzlich.

Johannes und ich kennen uns seit Januar. Oder anders: er kennt mich seit Januar! Ich kenne ihn schon viel länger – über seine Fotos. Sie fallen auf. Schenken dem Donaukurierleser einen guten Moment am Frühstückstisch. Nun, das ist privat. Zumindest aus meiner Perspektive. Aus deiner Sicht, Johannes, ist das deine Arbeit. Aber ist nicht alles eine Frage der Perspektive?

Vermutlich schon. Und mit dieser Frage knüpfe ich nun an meine berufliche und dann auch endlich persönliche Bekanntschaft mit Johannes an. Eine Frage der Perspektive – oder „#Perspective matters“ nannte sich unser gemeinsames Projekt im Alf Lechner Museum im Januar dieses Jahres. Im Rahmen der internationalen Veranstaltung „Start 19“ gestalteten wir gemeinsam unter diesem Motto einen Tag. Im Zentrum dieser Aktion standen die Skulpturen Alf Lechners.

Heute und in dieser Ausstellung steht die Perspektive an sich im Mittelpunkt: nach oben. Vohburg ist ein wunderbarer Ort für dieses Thema. Die Vohburger sind es gewohnt, die Perspektive zu wechseln. Von unten schauen sie hoch auf den Burgberg, vom Burgberg hingegen auf eine wunderbare Dachlandschaft hinunter ins Zentrum. Spannend auch, die sich durch die Rundung im Stadtgrundriss ergebenden, stets neuen Blickwinkel. Welch ein perspektivischer Reichtum!

Aber sogar für die geübten Vohburger wird ein Blick recht ungewöhnlich sein: der direkte Blick „nach oben“. Wann schauen WIR wirklich nach oben? Fast nie. Tatsächlich strecken wir unseren Kopf doch nur dann nach hinten, wenn sich ein konkreter Anlass dazu bietet: das Geräusch eines Flugzeugs oder Feuerwerk an Silvester.

Ich behaupte, das war mal anders. Wären wir um 1600 in höheren Kreisen geboren, würden wir bewusster nach oben schauen. Ich glaube sogar, dass sich die Menschen von damals besser in den Bildern von Johannes Hauser hätten orientieren können. Das Gute sei am Rande erwähnt: Diese Gabe ist für die Wirkung seiner Kunst vollkommen unerheblich.

Wie komme ich aber auf diese merkwürdige These? Die Barockzeit war die Hochzeit der Deckenmalerei. In der Deckenmalerei ging es um die Konstruktion eines perfekten illusionistischen Bildraumes. Es entstanden phantastische Welten – der Betrachter staunte, aufgehoben schien die raumabschließende Wirkung der realen Decke.

Johannes Bilder sind kein solches Trompe l’oeil. Er widmet sich dem hier und jetzt. Er lichtet ab, was uns der Alltag – oder auch eine Reise - bietet, lenkt den Blick auf „vermeintlich Bekanntes“. Das vermeintlich Bekannte ist in vielen Fällen die Decke eines Raumes, die Dachuntersicht eines Gebäudes in dem wir uns regelmäßig aufhalten oder das uns oft auf Bildern in Prospekten oder den Medien begegnet.

Mein Favorit: Johannes neue Serie aus der Bibliothek (von der Architektin Vera Winzinger). Auf den ersten Blick erscheinen die Bilder „popartig“, bunt, seriell. Dass das Motiv die Untersicht des Daches der Bibliothek zeigt, bedarf genaueren Hinsehens, denn das eckige wird rund, das offene geschlossen. Doch eine Illusion? Nein, keine Illusion. Ein Effekt. Der Effekt, der sich durch den Einsatz des Fischauge-Objektives ergibt.

Orientierung im Bild geben Details. Ein Indiz im speziellen Fall der Bibliothek: das Fenster. Das Fenster, das den Blick freigibt auf den ehemaligen Kirchturm der Andreaskirche, der heute der Rathausturm ist. Diese Beziehung finde ich großartig, zeigt sich doch hier, was Vohburg ausmacht: der eben schon beschriebene perspektivische Reichtum, die Möglichkeit, die verschiedenen Gebäude aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und räumliche und inhaltliche Beziehungen herzustellen. Außerdem: Das Miteinander von Geschichte und Moderne, das sich in der Architektur manifestiert. Sogar ein Ufo scheint Vohburg für den geeigneten Landungsort zu halten…

Farbig ist die Serie. Denn die Bibliothek selbst ist es auch, der neue rote Punkt der Stadt, auf den sie berechtigter Weise stolz ist.

Johannes Hauser adelt das in erster Linie als funktional wahrgenommen Dach durch seine Fotografie, erhebt es zur Kunst. Das hat es verdient: denn immerhin sind es doch die Decken und Dächer, die unsere Wände erst zu Räumen werden lassen, zu unserem Lebensraum. Raum, den wir gestalten und in dem wir unsere Welt gestalten. Nun möchte ich in diesem Zusammenhang unbedingt auf eine andere Serie zumindest hinweisen: „Der Himmel der Demokratie“. Johannes hat hierfür als erster Fotograf die Erlaubnis bekommen, im Plenarsaal des deutschen Bundestages zu arbeiten. Gemeinsam mit den Bildern aus der Frankfurter Paulskirche und dem Plenarsaal in Bonn ergeben sie ein Triptychon, das seit 2016 zur offiziellen Kunstsammlung des deutschen Bundestages gehört.

Und unter diesem Dach, unter dem wir gerade stehen, finden sich zahlreiche andere unterschiedliche Fotos von Dächern (und vielem mehr, aber die Entdeckung überlasse ich Ihnen!)! Nur eine bestimmte Dachform, die spielt heute keine Rolle: das Flachdach. Und das im Jahr des Bauhauses!

Macht nichts – das kriegen wir noch unter! Ich gebe aber zu: Das ist reine Spielerei und für die kehre ich zum Anfang meiner Worte zurück: zum Frühstückstisch. Natürlich mit aufgeschlagener Zeitung.

Gestern wurde dort die heutige Ausstellung angekündigt. Wieder zwei Fotos von Johannes, die mich als Leser so packen, dass ich mir die Zeit nehme, sie zu betrachten. Es sind quasi Miniatur-Ausgaben der Werke, wie sie hier hängen. Sie erinnern mich an Broschen. Kleine Schmuckstücke: grazil, kleinteilig, ästhetisch und ja, einfach schön! Erst beim genauen Hinsehen entdecke ich bei der Brosche die Zierelemente, die sich gemeinsam zum großen Ganzen fügen. Oder, wieder auf die Fotos bezogen: Details, die mich hier in diesem Fall zum Ort selbst führen.

Übrigens fristete die Brosche wie die Decke erst ein tristes, rein funktionales Leben, bevor sie etwa zeitgleich mit dem Aufkommen der Deckenmalerei vom Knopf abgelöst wurde und zum reinen Schmuckstück erhoben wurde.

Nun, hier hängen viele solcher Schmuckstücke. Eines davon möchte ich Ihnen wie eine gedankliche Brosche „anheften“. (Zeitschrift zeigen) Sie ahnen es, hier kommt das Bauhaus wieder ins Spiel! Der Brückenschlag steht kurz bevor!

Ich verweise Sie auf die jetzige Ausstellung im MKK in Ingolstadt im Rahmen von 100 Jahre Bauhaus. Zu sehen sind hier derzeit „Gemalte Diagramme“. An einer der vielen Ausstellungs-Wände befindet sich ein Diagramm in seiner Entstehung. Das Team des MKK stellt dem Publikum eine Frage, wer will, darf bei der entsprechenden Antwort einen Punkt machen: Wie lange schauen Sie sich ein Kunstwerk an? 1. Bis ich es erfasst habe. 2. Bis ich mir eine Meinung dazu gebildet habe oder 3. bis die Leute um mich herum denken, ich hätte ein großes Kunstverständnis.

Ich fand diese Frage herrlich. Machen wir das nicht ganz ernst gemeinte Spiel mit! Gerade das Erfassen des Motivs ist heute in dieser Ausstellung ein durchaus legitimer Anfang, den Dialog mit dem Werk zu eröffnen. Zu diesem Zweck gebe ich Ihnen besagte gedankliche Brosche mit. Vorab die Regel: es wird nicht Vorgesagt! Also: Welchen Ort zeigt meine kleine Brosche? Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Suche und habe noch folgenden Tipp für sie: Manchmal müssen wir gar nicht lange reisen, um etwas zu Entdecken: es reicht schon, die Perspektive zu wechseln. Schauen Sie einfach mal „nach oben“.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit